Urheberrecht
Bibliotheken sammeln, erschließen, verleihen und machen Werke zugänglich, von denen die meisten urheberrechtlich geschützt sind. Sie sind daher tagtäglich mit Fragen des Urheberrechts konfrontiert. Dabei befinden sie sich in einer Doppelrolle: Sie berücksichtigen und vermitteln einerseits die Interessen der Autor*innen und Verlage und andererseits die der Rezipienten.
Urheberrechtliche Erlaubnisse für Bibliotheken und ihre Nutzer*innen
In Deutschland regelt das Gesetz über Urheberrechte und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, kurz UrhG) den Schutz des Urhebers und seiner Werke (dieser umfasst hier grundsätzlich sowohl digitale als auch analoge Werke). Darüber hinaus regelt das Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten durch Verwertungsgesellschaften (kurz VGG) bestimmte für Bibliotheken relevante Aspekte des Urheberrechts. Nachfolgend ein kurzer Überblick über die, aus Sicht des dbv, zentralen Erlaubnisse für Bibliotheken und Ihre Nutzer*innen im Urheberrecht:
- Ausleihe von physischen Werken: Wenn eine Bibliothek ein physisches Exemplar in ihrem Bestand hat, darf sie es auch verleihen, ohne den Urheber um Erlaubnis zu fragen. Als Ausgleich wird den Urhebern eine angemessene Vergütung, die sogenannte „Bibliothekstantieme“ gezahlt (§ 27 Abs 2 UrhG). Diese Vergütung wird von Bund und Ländern an Verwertungsgesellschaften gezahlt, die das Geld nach einem Verteilungsschlüssel den Urhebern auszahlen.
- Vervielfältigung: Öffentlich zugängliche Bibliotheken dürfen Werke aus ihrem Bestand vervielfältigen, wenn es für die Zugänglichmachung, Indexierung, Katalogisierung, Erhaltung und Restaurierung nötig ist (§ 60e Abs. 1 UrhG). Der Werkbegriff umfasst sowohl digitale als auch analoge Werke. Diese Art der Vervielfältigung ist vergütungsfrei (§ 60h Abs. 2 Nr. 2 UrhG).
- Verbreitung zur Restaurierung: Bibliotheken dürfen auch Vervielfältigungen eines Werkes aus ihrem Bestand an andere Bibliotheken weitergeben, wenn dies dem Zweck der Restaurierung dient. Gleiches gilt für Archive, Museen und Bildungseinrichtungen (§ 60e Abs. 2 UrhG). Bibliotheken dürfen restaurierte Werke sowie Vervielfältigungsstücke von Zeitungen, vergriffenen oder zerstörten Werken aus ihrem Bestand auch verleihen (§ 60e Abs. 2 UrhG). Hierfür wäre eine pauschalierte Vergütung an eine Verwertungsgesellschaft zu bezahlen (§ 60h Abs. 3 S. 1 UrhG).
- Verbreitung zur Ausstellung oder Dokumentation: Bibliotheken dürfen Werke der bildenden Künste, Lichtbildwerke, Filmwerken und Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art (Zeichnungen, Pläne, etc.) vervielfältigen und verbreiten, wenn dies im Zusammenhang mit einer öffentlichen Ausstellung oder zur Dokumentation des Bestandes der Bibliothek erfolgt (§ 60e Abs. 3 UrhG).
- Zugänglichmachung an Terminals: Bibliotheken dürfen ihren Nutzer*innen an Terminals in ihren Räumen Werke aus ihrem Bestand für Forschung oder private Studien zugänglich machen. Dabei dürfen sie den Nutzer*innen Vervielfältigungen in begrenztem Umfang ermöglichen (§ 60e Abs. 4 UrhG). Einzelheiten und die Vergütung regelt ein Rahmenvertrag, dem Einrichtungen jederzeit beitreten können.
- Kopiendirektversand: Bibliotheken dürfen Nutzer*innen auf Einzelbestellung und zu nicht kommerziellen Zwecken Vervielfältigungen von bis zu 10 Prozent eines Werkes sowie einzelne Beiträge aus Fachzeitschriften oder wissenschaftlichen Zeitschriften übermitteln. Die Übermittlung kann per Post, Fax oder E-Mail erfolgen. Dieser Kopienversand muss angemessen vergütet werden. Die Vergütung ist im Tarif der VG Wort geregelt.
- Fernleihe: Es besteht ein Gesamtvertrag über den Kopienversand im innerbibliothekarischen Leihverkehr. Dieser Vertrag regelt die Übermittlung von Werken zwischen den Bibliotheken.
- Text und Data Mining: Wissenschaftler*innen haben das Recht, Datenbanken, Zeitschriften und andere urheberrechtlich geschützte Werke übergreifend automatisiert auszulesen, zu speichern und auszuwerten (§ 60d UrhG). Für Bibliotheken ist dies in zweierlei Hinsicht relevant: zum einen bieten sie – typischerweise über eine Lizenz – den Zugang zu diesen Daten. Zum anderen sind Bibliotheken, neben anderen Kulturerbe-Einrichtungen und Forschungseinrichtungen, berechtigt, die ausgelesenen Daten zu speichern, solange sie für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung oder zur Überprüfung wissenschaftlicher Erkenntnisse erforderlich sind. Gemäß § 60h Abs. 2 Ziff. 3 UrhG ist hierfür keine Vergütung fällig.
- Digitale Semesterapparate und Forschungsverbünde: In Lehrveranstaltungen oder im Rahmen eines Forschungsprojekts ist es möglich, den Teilnehmer*innen bis zu 15 % eines Werkes zur Verfügung zu stellen. Abbildungen, einzelne Beiträge aus derselben Fachzeitschrift oder wissenschaftlichen Zeitschrift, sonstige Werke geringen Umfangs und vergriffene Werke dürfen sogar ganz genutzt werden (§ 60a Abs. 1 und 2 und § 60c Abs. 1 und 3 UrhG).
- Kollektive Lizenzen mit erweiterter Wirkung: Neu ist seit der Urheberrechtsnovelle 2021, dass repräsentative Verwertungsgesellschaften unter den Voraussetzungen des § 51 a VGG kollektive Lizenzen vergeben können, die auch Werke von Außenstehenden umfassen (§ 51 VGG). Dadurch können auch Bibliotheken für ausgewählte Werktypen, die nicht unter den Sondertatbestand der nicht verfügbaren Werke fallen, mit repräsentativen Verwertungsgesellschaften Verträge abschließen und müssen nicht einzeln mit Rechteinhabern verhandeln.
- Nicht verfügbare Werke: Ein Sonderfall des § 51 VGG, also der kollektiven Lizenzen mit erweiterter Wirkung, ist die Lizenzierung nicht verfügbarer Werke. Ein nicht verfügbares Werk ist ein Werk, das der Allgemeinheit auf keinem üblichen Vertriebsweg in einer vollständigen Form angeboten wird (§52 VGG). Oder es handelt sich um Werke, die nicht im eigentlichen Sinn veröffentlicht wurden, also z. B. Plakate, Flugblätter oder Archivalien. Kulturerbe-Einrichtungen, wie Bibliotheken, haben eine gesetzliche Erlaubnis, nicht verfügbare Werke aus ihrem Bestand zu vervielfältigen oder vervielfältigen zu lassen sowie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder handelt es sich um Werke, für die eine Verwertungsgesellschaft repräsentativ ist. Dann greifen die Regelungen des § 52 ff VGG. Oder es handelt sich um Werke, für die es keine repräsentative Verwertungsgesellschaft gibt. Dann ist der Auffangtatbestand des § 61d UrhG einschlägig.
Kernforderungen im Bereich des Urheberrechts
Damit sich Bibliotheken und ihre Nutzer*innen im Sinne ihres öffentlichen Auftrags rechtskonform verhalten können, ist es unabdingbar, dass klare Ausnahmeregelungen im Urheberrecht gesetzlich festgelegt werden. Kernforderungen des dbv im Bereich des Urheberrechts sind:
- Gesetzliche Regelung zum Verleih von E-Books: Der dbv fordert eine gesetzliche Regelung zum Verleih von E-Books. Mehr Informationen dazu auf der Themenseite "E-Books in Bibliotheken".
- Versand von Zeitungsartikeln: Nach geltendem Urheberrecht können Zeitungen und Publikumszeitschriften – im Gegensatz zu wissenschaftlichen Fachzeitschriften – in Bibliotheken nur vor Ort eingesehen und nicht per Kopienversand an die Forscher*innen übermittelt werden. Das behindert Bildung und Forschung und ist angesichts der Digitalisierungsbestrebungen in diesen Bereichen nicht zeitgemäß. Dies gilt sogar bei „vergriffenen“ Zeitungen, die weder gedruckt noch in kommerziellen Online-Zeitungsarchiven verfügbar sind. Der dbv fordert, dass die Möglichkeit des Kopienversandes durch Bibliotheken auf Zeitungen und Publikumszeitschriften ausgeweitet wird.
- Übermittlung von Auftragskopien innerhalb der Bildungseinrichtung (an eigene Studierende und Mitarbeitende): Nach geltendem Urheberrecht ist strittig, ob die Übermittlung von Vervielfältigungen aus eigenem Bestand für eigene Angehörige einer Bildungseinrichtung unter § 60e Abs. 5 UrhG (Kopiendirektversand) fällt. In dem Fall wäre eine zusätzliche Zahlung nach Einzelabrechnung an die VG Wort zu leisten. Aus Sicht der Bibliotheken ist das nicht sachgerecht, weil der Bibliotheksbestand ja gerade erworben wurde, um die Inhalte den Angehörigen der Einrichtung zur Verfügung zu stellen. Die dafür notwendigen Vervielfältigungen und Übermittlungen sollten nicht über § 60a und § 60c UrhG hinausgehend zusätzlich vergolten werden.
- Umfang des Kopienversandes anpassen: Derzeit können Lehrende zwar nach § 60a UrhG bis zu 15 % eines veröffentlichen Werkes verwenden, aber gleichzeitig dürfen ihnen Bibliotheken nach § 60e Abs. 5 UrhG nur 10 % eines Werkes zusenden. Der gleiche Widerspruch gilt bei der wissenschaftlichen Forschung nach § 60c und § 60e Abs. 5 UrhG. Der dbv fordert deshalb, dass in § 60e Abs. 5 UrhG der Umfang zumindest für Nutzungen nach § 60a und § 60c UrhG an den Umfang von §60a und § 60c UrhG angepasst wird
dbv-Rechtskommission
Die Rechtskommission ist im Bibliotheksverband der Ansprechpartner für bibliotheksspezifische juristische Probleme. Rechtsgebiete, mit denen sich die Kommissionsmitglieder beschäftigen, sind das Urheberrecht, aber auch das Benutzungsrecht, zivilrechtliche Fragen der Erwerbung sowie Teile des Telemedien- Telekommunikations- und Datenschutzrechts. Alle Mitglieder der Kommission sind sowohl Juristen als auch (wissenschaftliche) Bibliothekare. Dabei führt sie folgende Aufgaben aus:
Die Mitglieder der Rechtskommission führen Schulungen für dbv-Mitglieder zu bibliotheksspezifischen Rechtsfragen durch. Sie sind auf bibliothekarischen Veranstaltungen wie z.B. dem Bibliothekartag regelmäßig mit Vorträgen zu aktuellen juristischen Themen präsent. Die Mitglieder der Rechtskommission verfassen Gutachten, die Bibliotheken in häufig auftretenden juristischen Problemen weiterhelfen. Darüber hinaus fallen Stellungnahmen zu aktueller Rechtsprechung und im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren in den Aufgabenbereich der Kommission. Sie bieten juristische Beratung, soweit das im Rahmen der ehrenamtlichen Kommissionstätigkeit möglich ist. Die Beratung durch die Rechtskommission kann die Konsultation der eigenen Justiziare oder von Rechtsanwälten allerdings nicht ersetzen.